Unvergessliches Sommerfest in Hagen Fley – mit Potenzial zum Ritual
Die HOLAS WG-FLEY für Menschen mit Beatmung und Intensivpflege on Tour – über der Ruhr
10:20 Uhr: Hagen, 25°C. Ich betrete die Wohngemeinschaft für Menschen mit Beatmungs- und Intensivpflege um 10:00 Uhr, alle fünf Bewohner*innen sowie die sie begleitenden Pflegekräfte sind startklar und warten auf den Bus. Die vier Bewohner, die aus unterschiedlichsten Gründen nicht am Picknick teilnehmen werden, sind durch zwei Pflegefachkräfte ausreichend betreut. Allen ist die Vorfreude deutlich anzumerken. Es herrscht eine prima Stimmung im großen WG-Wohnbereich. Zwei Bewohner grinsen mich an, als ich sie auf ihr stylisches Sommer-Outfit anspreche. Unter ihren großen Sonnenbrillen kann man ihre Augen funkeln sehen.
10:15 Uhr: Das firmeneigene Intensivmobil wird in Parkposition gebracht, während nahezu zeitgleich der Bus eines externen Unternehmens mit einem kurzen Hupen seine pünktliche Ankunft signalisiert. Der Bus hat eine Ladefläche, um sechs Rollstuhlfahrer gleichzeitig zu befördern – für einen, wie alle befinden, sehr günstigen Preis. Alle Bewohner werden auf den Vorplatz der WG gefahren. Eine Bewohnerin hat bereits im Intensivmobil ihren Platz gefunden, während das Orga-Team jede erdenkliche Lücke im Wagen nutzt, um Kühltaschen und sonstiges Picknick-Equipment zu verstauen.
10:28 Uhr: Während das Beladen des Busses ohne weitere Zwischenfälle verlaufen ist, öffnet sich die Schiebetür des Intensivmobils, und der „Rockafeller Skank“ von Fatboy Slim ertönt aus den Boxen. Der selbst von den vier Insassen selbst deklarierte Party-Bus der Holas-WG-Fley scheint abfahrbereit zu sein. Ich nehme meinen Platz als Begleitperson der Bewohner und als rasender Reporter, neben dem Busfahrer, ein, während alle anderen Mitarbeiter in ihre, zu Fahrgemeinschaften gebildeten Autos steigen, und dem Bus als Geleitschutz dicht folgen werden. Der Konvoi setzt sich pünktlich um 10:30 Uhr in Bewegung.
10:55 Uhr: Ein pflegerisches Eingreifen meinerseits ist bisher nicht erforderlich gewesen. Die idyllische Fahrtstrecke entlang der Ruhr, bei strahlend blauem Himmel, scheint die kleine Reisegruppe sehr zu beeindrucken, und aufmerksam neigen sich ihre Blicke von links nach rechts. Die Reisegruppe besteht, neben mir, aus einer Bewohnerin im Locked-In-Syndrom, einem Bewohner im wachkomatösem Zustand und zwei tracheotomierten, spontanatmenden Bewohnern.
Wir befinden uns mittlerweile auf dem steilen Zufahrtsweg zum Hohenstein in Witten. Die Asphaltierung ist …. sagen wir mal „suboptimal“, und trotz geringer Reisegeschwindigkeit, werden die Bewohner auf der Ladefläche doch ganz schon durchgerüttelt (Sekretmanagement durchführen…. Erledigt!) Bei einem prüfenden Blick zu den Bewohnern hinter mir schaue ich allerdings nur in lächelnde Gesichter. Die etwas in Schieflage geratene Locked-In-Bewohnerin ist jedes Mal sichtlich amüsiert, wenn die dementiell erkrankte Bewohnerin einen holprigen Wackler des Busses mit „Hui“ oder einem langgezogenen „Huuuu“ kommentiert.
Ca. 11:00 Uhr: Ankunft am Hohenstein. Während des Entladens der „Busbesatzung“, beginnt das Orga-Team bereits mit den Aufbaumaßnahmen des Picknicks. Eine große schattenspendende Blockhütte, davor eine riesige Wiese. Unzählige Decken und Campingstühle haben die Mitarbeiter vor der Blockhütte ausgebreitet. Das reichlich gefüllte Picknick-Buffet (bestehend aus Kuchen, Obstspießen, Salaten, Schnitzel, Frikadellen, diversen alkoholfreien Getränke und kleinen Knabbereien), welches von einer Mitarbeiterin am Vorabend stundenlang liebevoll zubereitet wurde, ist schnell aufgebaut. (Diese hat bestimmt Muskelkater vom Plattklopfen der 50 Schnitzel) Ebenso mit dabei haben wir ein Badminton-Netz, welches einige Mitarbeiter sofort zu spontanen Ballspielen animiert.
11:30 Uhr: Das Außenthermometer zeigt mittlerweile 29°C an und alle sind großzügig mit Sonneschutz versorgt. Eine Boombox sorgt für die musikalische Untermalung. Das Buffet ist seit einigen Minuten eröffnet. Statt Sondenkost gibt´s heute halt Schnitzel…. Nein Quatsch: Natürlich ist auch für ausreichende Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr der Bewohner*innen gesorgt worden, die aufgrund einer Schluckstörung nicht selbständig essen können. Dennoch quillt aus deren Mundwinkeln eine Kompresse, in welcher portionsweise diverse Buffet-Happen zur oral-basalen-Stimulation eingelegt worden sind.
12:30 Uhr: Nun, wo sich alle gestärkt haben, machen wir uns zu einem kurzen Spaziergang zum Berger-Denkmal auf. Alle genießen den tollen Ausblick auf das Ruhrtal. Anschließend versammeln wir uns vor dem Denkmal zu einem Gruppenfoto, bis plötzlich die Idylle durch ein lautes „Platsch!“ und einen Aufschrei der Mitarbeiter ein wenig gestört wird. Es hagelt Wasserbomben von der Aussichtsplattform des Denkmals! Da hat das Orga-Team ganze Arbeit geleistet. Die WG-Bewohner sind sehr belustigt über die gezielt getroffenen und klatschnassen Pflegekräfte, die sich über die ungewollte Abkühlung jedoch kaum beschweren.
13:20 Uhr: Das große Fotoshooting beginnt. Das Orga-Team hat für dieses Picknick extra eine Seifenblasen-Maschine gekauft, um so wirklich wunderschöne, kreative Fotos zu schießen. In Zeiten von Instagram und Co. ist das offensichtlich ein Muss. Zugegebenermaßen … in der Tat sehr hübsch anzusehen, wie bei vorbeifliegenden Seifenblasen die Bewohner Spaß am Klettballspiel haben.
13:45 Uhr: Der Bus hat sich für die Rückfahrt in ca. 15 Minuten angekündigt. Es wird Zeit für ein abschließendes Gruppenfoto. (Persönliche Anmerkung: Aufgrund der neuen Datenschutzgrundverordnung konnte leider nicht das gesamte Team, gemeinsam mit allen teilnehmenden Bewohnern, offiziell abgelichtet werden).
Leider hat es zeitlich für einen Besuch im Wildgehege und im Streichelzoo nicht gereicht. Da allerdings alle Beteiligten das Picknick als vollen Erfolg gewertet haben, wurde man sich schnell einig, dass dieses Event zu einem jährlichen Sommerritual erklärt werden sollte. So schön und groß unsere Wohngemeinschaft für außerklinische Beatmung und Intensivpflege auch ist, die frische Luft in der Natur kann sie nicht ersetzen. Und der Streichelzoo wird nächstes Jahr besucht. Definitiv!
Ein großes Dankeschön von meiner Seite an alle an der Organisation beteiligten Personen.
Als „rasender Reporter“ führte ich, Andreas, noch ein abschließendes Interview mit der verantwortlichen Teamleitung Madeleine Jähnert.
Andreas: Madeleine, wie kamt Ihr auf diese tolle Idee?
Madeleine J.: Wir hatten ja bereits im Frühjahr dieses Jahres das Glück, tolles Wetter zu haben. Da es ja ganz oft so ist, dass sowohl die Bewohner, als auch deren Angehörige nach solchen Schicksalsschlägen, immer der Meinung sind, in ihrem Leben eingeschränkt zu sein…was sie sicherlich auch sind, zumindest teilweise, ….. mag ich es halt gerne, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Ja, sie sind eingeschränkt, was aber noch lange nicht heißt , dass man auf Urlaub, auf Kinobesuche, auf Eis essen gehen oder was auch immer, verzichten muss.
Es ist anders, es ist organisatorisch aufwändiger, ja, aber ….. nur weil man beatmet oder tracheotomiert ist, bin ich dennoch der Meinung, dass das nicht heißt, dass sich das Leben nur noch in einem Raum oder zuhause abspielen muss und man in seiner Freiheit komplett eingeschränkt ist.
Da wir eine sehr, sehr schöne Wohngemeinschaft haben, die allerdings räumlich ein bisschen verwinkelt ist und man sich anfangs verlaufen kann, hatte ich die Idee, mit den Bewohnern Picknicken zu gehen. Ich wusste da aber auch schon, dass wir wahrscheinlich nicht mit allen Bewohnern gehen können, weil an diesem Tag das Wetter mitspielen muss, d.h. es darf nicht zu heiß oder zu kalt sein und es darf nicht regnen. An so einem Tag muss es den Bewohnern gut gehen und ihr Zustand vorher mehrere Tage lang stabil gewesen sein.
Dann habe ich meinen Plan mit meiner Stellvertretung, Jeannine Wiebusch, besprochen, die daraufhin das praktische Zepter direkt übernommen hat.
Andreas: Wie hoch war der organisatorische Aufwand? Wie viele Personen waren beteiligt?
Madeleine J.: Jeannine hat während einer Teambesprechung eine Orgagruppe gebildet, und weil ich sehr fleißige und engagierte Mitarbeiter habe, lief die Organisation tatsächlich fast von alleine. Geklärt werden musste Fragen wie die Versorgung mit Essen und Getränken, Spiele, Ziele unseres Ausflugs. Meine STL und ein Teamkollege haben sich vorher mehrere Picknickstandorte angeschaut und sich dann für Witten / Hohenstein entschieden. Jeannine hat ihre persönliche Erfahrung mit ihrer eigenen Familie eingebracht: „Da ist immer ein schattiges Plätzchen, der Ort ist nicht so weit weg von der WG (Kilometer und Fahrzeit), gut behindertengerecht begehbar, hat eine Überdachung, und wir sind mit unseren Patienten ein stückweit für uns.
Wir haben die Angehörigen per Rundbrief offiziell informiert und ihnen aber auch bewusst gesagt, dass das ein Tag nur für uns Pflegekräfte und die Bewohner sein soll, ohne Angehörige. Denn wir wollten wirklich einmal den Tag für uns gemeinsam genießen, ohne irgendwelche Zwänge.
Die finale Organisation fand erst 1 bis 2 Tage vorher statt, als alle Rahmenbedingungen stimmten: gutes Wetter, zufriedenstellender Allgemeinzustand der Bewohner, verfügbare Mitarbeiter (Urlaubszeit, eventuelle Krankenscheine) und es wurde festgelegt, wer wen begleitet, wer was packt und wie es um das individuelle Notfall-Equipment bestellt ist. Für einen brauchten wir den Sprachaufsatz, ein zweites Inlay, BZ-Gerät, etc., es wurde geprüft, wer wann seine Medikamente / Injektionen bekommt etc. Im Prinzip hatten wir für diesen Tag pro teilnehmendem Bewohner eine 1:1 Betreuung.
Durch die Hilfe von anderen Holas-Wohngemeinschaften, die dann auch zuvor unsere Nachtdienste übernommen hatten, konnten tatsächlich fast alle Mitarbeiter teilnehmen (außer die Urlauber) und fünf Bewohner. Meine Stellvertretung Jeannine hatte sich zuvor um ein Krankentransportunternehmen im Raum Hagen gekümmert, das bis zu sechs Rollstuhlpatienten gleichzeitig befördern kann. Dadurch wurde (im Vergleich zum Einsatz mehrerer Intensivmobile), sehr viel Zeit gespart. Durch die Mitarbeit der Orga-Gruppe hatten wir alle einen tollen Tag mit genügend Essen und Trinken. Schließlich waren wir dann tatsächlich von 11 bis 14 Uhr am Hohenstein und haben bei Musik gepicknickt und Spiele gespielt. Ich finde, dass die Zeit genau richtig war; länger hätte unser Picknick auch nicht sein dürfen. Und Gottseidank hat das Wetter mitgespielt.
Andreas: Wie habt Ihr das alles finanziert?
Madeleine J.: Auf Nachfrage unserer PDL wurde das Finanzielle von der Geschäftsführung übernommen. Für unser alternatives Sommerfest wurden 500 € gesponsert, wodurch wir alle einen wirklich wunderschönen Tag hatten. Was als abschließendes Fazit zeigt, dass man auch mit Beatmung und mit mehreren Patienten gleichzeitig einen tollen Tag genießen kann, trotz des erheblichen höheren organisatorischen Aufwands im Vergleich zum pflegerischen Alltag.
Andreas: Danke für das Gespräch!
Kontakt:
Holas Ambulante Intensiv- und Beatmungspflege GmbH
Haßleyer Str. 37b
58093 Hagen
T: +49 (0)2331 34010-0
E: info@holas-hagen.de